
Erneuerung Siedlung Hirschwiese
Baugenossenschaft Hagenbrünneli, Zürich
offener Projektwettbewerb 2023
Projektteam: Ilona Schneider, Michel Eigensatz, Philip Kaiser
Nachhaltigkeit: Sumami GmbH, Philip Kaiser
Landschaftsarchitektur: Serena Neuenschwander




1950 – 2023
Ist-Zustand Siedlung Hirschwiese
2026 – 2028
1. Etappe: Ertüchgigung Bestand und Aufstockungen
In der ersten Etappe werden die bestehenden Gebäude aufgestockt und mittels aussenliegender Erschliessung behindertengerecht gemacht, und anschliessend Innen saniert. Die Aufstockung sieht einen modularen Holzbau vor, der im Sinne der japanischen Technik „golden repair“ nicht nur die materielle Wertigkeit der Genossenschaft erhöht, sondern gleichzeitig auch die thermische und statische Fähigkeit des Bestandes verbessert.
Aufgestockt werden nur die Gebäude, welche nicht zu stark durch den Lärm belastet werden. Die bestehenden Gebäude entlang der Hirschwiesenstrasse sind durch die Lärmschutzwand geschützt und können teilweise durch minimale Massnahmen verbessert werden.
2029 – 2031
2. Etappe: Ersatzneubauten und Ergänzungen
Aufgrund der hohen Lärmbelastung an der Hirschwiesen bzw.- Schaffhauserstrasse sieht die zweite Etappe einen Ersatzneubau jener zwei Gebäude vor, welche durch ihre Ausrichtung und Setzung dem Lärm am meisten ausgesetzt sind und dadurch die Wohnqualitäten massiv beeinträchtig sind. Eine Aufstockung ist unter den gegebenen Bedingungen sehr schwierig, weswegen hier zwei Ersatzneubauten mit Lärmschutzgrundrissen sinnvoll sind. Das wichtigste Kriterium für die Etappierung ist, dass die Bewohner der jetzigen Siedlung nicht aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen werden, sondern die Möglichkeit besteht, in die Aufstockungen umziehen zu können. Die Aufstockungen zusammen mit den Neubauten und dem Bestand ergeben ein Total von 285 Wohnungen.
nach 2031
3. Etappe: Temporeduktion
Durch die Entscheidung in der ersten Etappe, die drei- bzw. zweigeschossigen Gebäude entlang der Hirschwiesenstrasse nicht aufzustocken, kommt die Zeit als Vektor ins Spiel. Da die Stadt Zürich ab 2030 vorsieht, die Hirschwiesenstrasse in eine 30-er Zone herabzustufen, wird die Lärmproblematik verschwinden. Somit sind diese Dachflächen eine Ausnutzungsreserve für Indoor- und Outdooraktivitäten, die ab diesem Zeitpunkt für zusätzliche Wohnungen genutzt werden können. Das heisst, nach 2030 kann die Genossenschaft durch Aufstockung noch zusätzlich 51 Wohnungen bauen, womit auch das formulierte Maximalziel mit 336 Wohnungen über eine grössere Zeitraumbetrachtung sogar übertroffen werden kann.

Bestand
Da die Bestandesbauten aus dem Denkmalpflegeinventar entlassen wurden, ist es möglich, die Wohnungen barrierefrei zu erschliessen und die fehlenden Aussenräume anzubieten. Dank der bestehenden Lärmschutzwand sind die Bestandesbauten grösstenteils vom Lärm geschützt und können mit einfachen Massnahmen, wie Lüftungsfenster auf lärmabgewandter Seite, verbessert werden. Ein Modulares Element mit Treppe und Lift wird vor die Fassade gestellt. Diese Struktur bietet zugleich den fehlenden privaten Aussenraum auf allen Geschossen. Durch die neue Eingangssituation werden die Lärmprobleme ebenfalls verbessert (Schlafzimmern wird zu Küche).
vertikale Ergänzung
Die Aufstockung artikuliert sich als modularer Schottenbau in Holz, welcher eine schnelle Montage und gute CO2 Eigenschaften aufweist. Die Aufstockung hilft, den Bestand bezüglich Dämmung und Aussteifung zu ertüchtigen. Die Aufstockungen erhalten jeweils im 1. Aufstockungsgeschoss eine allgemeine Waschküche. Die Kellerräume sind ebenfalls als Nebenräume auf den Geschossen angelegt, damit die bestehenden Untergeschosse für die Bestandeswohnungen reserviert bleiben können.
Neubauten
Aufgrund der grossen Lärmbeeinträchtigung der zwei Längsbauten an der Hirschwiesen- und Schaffhauserstrasse haben wir uns entschieden, dort einen Ersatzneubau zu machen, damit alle Anforderungen bezüglich Lärm besonders ab dem 3. Obergeschoss, gewünschter Wohnungsmix und alle gewünschten Erdgeschossnutzungen optimal erfüllt werden können.
Diese neuen Lärmschutzgrundrisse ergänzen den gewünschten Wohnungsmix und tragen ihren Teil zur nötigen Verdichtung bei.



Lokale Energien
Um zukünftige Lebensräume zu schaffen, ist der Umgang mit den lokalen Energien einer Situation zentral. Entwerfen ist immer ein Umbauen, ein Umorganisieren einer Situation, oder wie Latour sagt, “design is always redesign”. Nachhaltiges Handeln impliziert für uns eine Verlängerung der Lebensdauer des Existierenden. Es geht um eine Ökologie die sich jeder leisten kann, die nicht über monetären Einsatz funktioniert, sondern über einen Perspektivenwechsel. Erst ein solcher Wechsel eröffnet Möglichkeiten für neue Räume, neue Qualitäten, neue Beziehungen, die ausserhalb der rein plastischen Existenz von Architektur stehen.
Bestand
Die Qualitäten der bestehenden Gebäude und Aussenräume zeichnet sich durch ein durchlaufendes Grün aus, welches nicht unterbaut ist und somit die wichtigste Erdschicht als intaktes Element vorhanden ist. Räumlich reagieren die Gebäude durch Höhenabstufungen und versetzte Fassaden präzis auf die Topografie und bilden qualitätsvolle Aussenräume. Die bestehenden Nachbarschaften und sozialen Beziehungen im Quartier sind eine weitere Ressource, die es zu stützen gilt. Integrierte Nachbarschaften sind das logische Produkt der notwendigen ökologischen und sozialen Umgestaltung unserer Städte. Nachbarschaften sind die Basis zukunftsfähiger Stadtentwicklung.
Unser Entwurf plädiert für eine Strategie, die das Potential des Bestandes nutzt, die vorhanden sozialen Beziehungen, die Energie welche für die bestehenden Bauten verwendet wurde, die wertvolle nicht unterbaute Erdschicht.
Wir beginnen eine neue Erzählung, basierend auf dem sozialen und kulturellen Wert der bestehenden Gebäude und Aussenräume. Im Sinne einer evolutionären Ökonomie nutzen wir das Potential, welches in jeder Situation bereits drin steckt.
Konstruktives Konzept für die vertikalen Ergänzungen
Will das vorgeschlagene konstruktive Konzept Modellcharakter haben, dürfen die vertikalen Ergänzungen keine statischen Mehrbelastungen der Bestandesbauten nach sich ziehen. Alt trägt nicht Neu, sondern Neu ertüchtigt Alt. In Anlehnung an das Referenzprojekt «Aufstockung in Sécheron» (2015, Architekt Raphael Nussbaumer) schlagen wir eine statische Ertüchtigung der Bestandesbauten mittels von aussen aufgebrachte Brettschichtholz-Tafeln vor, um die nötige Aussteifung insbesondere gegen Erdbeben zu gewährleisten. Zusätzlich werden mit einer Schwalbenschwanzverbindung vertikal stehende Holzstützen eingeführt, um die vertkalen Lasten der Aufstockung selbststehend und selbsttragend aussen am Bestand herunter zu führen. Dies ermöglicht vergleichweise schlanke und effiziente Querschnitte, da die Stützen gegen «ausknicken» durch die sowieso vorhandenen Eigenschaften der Brettschichtholz-Tafeln geschützt sind, sich aber gleichzeitig in vertikaler Richtung unabhängig von ihr bewegen können, um die Setzmasse des Holzes aufzunehmen.
Da keine Abstützung auf den Altbau vorgesehen ist, spannen die tragenden Wände der Aufstockung über die gesamte Gebäudetiefe von rund 10-12m. Durch die Ausbildung einer raumhohen statischen Höhe ist dies mit überschaubarem Aufwand zu bewerkstelligen. Das sekundäre Tragwerk zwischen den tragenden Schotten spannt wiederum wirtschaftliche 4.5m.
Als verbindendes Glied zwischen der Aufstockung und der vertikalen Lastabtragung vor der Bestandesfassade wird ein liegender BSH-Träger eingeführt, der aufgrund der begehbaren Installationsebene zwischen Bestand und Aufstockung (horizontale Leitungsführungen) statisch ausreichend hoch dimeinsioniert werden kann. Er leitet die Lastpunkte der aufligenden Schotten in die darunter liegenden Stützen um und ermöglicht eine vom Bestand unabhängige Grundrissentwicklung in der vertikalen Ergänzung. Nebenstehendes Konzeptschema zeigt den prinzipielle Übergang vom dem obersten Bestandesgeschoss zur Aufstockung.


Energetisches Konzept und CO2
Die Gebäude befinden sich innerhalb vom Perimeter der Heizzentrale Regina-Kägi-Hof, weshalb sich die Verwendung von Fernwärme als primäre Energiesenke anbietet. Diese speist über eine Niedrigtemperaturtrasse eine Sole / Wasser Wärmepumpe, die angeschlossen wird an zwei Eisspeicher. Dafür nutzen wir vorhandene Betonreserven (2x 100’000l Öltanks im südwestlichen Arealteil).
Dabei handelt es sich um eine sogenannte «Latente Energiespeicherung», also saisonal. Im Sommer kann der Strom der auf den Dächer vorhandenen PV-Anlagen in Produktionsspitzen mithilfe der Wärmepumpe Wasser zu Eis umwandeln (Power to Ice). Dieses Eis kann zur Kühlung der Räume verwendet werden. Das Erdreich sorgt natürlicherweise für konstante Temperaturen im Eisspeicher. Erfolgt während der Heizperiode wieder der Phasenübergang zu Wasser wird soviel Energie frei, wie Wasser benötigt um von 0 auf 80°C erhitzt zu werden.
Die Umrüstung der bestehenden Radiatoren zu Ventilations- Radiatoren sorgt dafür, dass diese auch bei niedrigerer Vorlauftemperatur weiterhin verwendet werden können, womit einer der grössten CO2-Verursacher in der Gebäudesanierung – der Austausch von Stahlradiatoren – umgangen werden kann. In den neuen Aufstockungen kommen CO2 arme Lehm-Wandheizelemente zum Einsatz (vgl. Alina Galimshina et. al., 2021).
Durch weitgehenden Bestandeserhalt können rund 75% der in der bestehenden Siedlung vorhandenen Materialien (nur bezogen auf Betondecken und Backsteinwände) erhalten werden. Mit den 2086 to. CO2-eq. die wir nicht vernichten, können als Vergleich 6’467’127 km mit dem Auto gefahren oder ein Laptop über 10’002 Jahre geladen werden (carbotech). Der Erhalt der beiden Betontanks bringt nochmals einen zusätzlichen Potentialerhalt von 13 t CO2-eq. obendrauf.